Haushaltsrede 2020

Haushaltsrede von David Armbruster für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

22.10.19 –

Haushaltsrede von David Armbruster für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Heute vor genau 40 Jahren wurde unser grüner Ortsverband in der Gaststätte Bahnhof in Leinfelden gegründet. Eines der Vorstandsmitglieder, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit, war Winfried Kretschmann. Er ist nach wie vor Mitglied in unserem Ortsverband.

Ein Wahljahr geht zu Ende. Neben der Gemeinderatswahl wurden wie immer auch der Kreistag und die Regionalversammlung neu gewählt. Außerdem fand zum erst neunten Mal die Europawahl statt. Das grüne Wahlergebnis freut uns sehr, besonders hier in LE. Wir erhielten knapp die meisten Stimmen und konnten einen Sitz hinzugewinnen. Ebenfalls freut uns, dass die AfD erst gar keine Liste aufgestellt hat. Aus unserer Sicht hat das auch mit der gut gelingenden Integration der Menschen mit Fluchterfahrungen zu tun. Dass es jetzt wieder mehr Männer als Frauen im Gemeinderat gibt, sollte uns alle anspornen, wieder mehr für die Gleichberechtigung zu tun. Acht Mitglieder unseres Rates sind mit dieser Wahl neu hinzugekommen. Einen Überblick über die anstehenden Aufgaben verschaffte uns eine Klausurtagung, welche diesen Monat stattfand. Alle Bereiche des kommunalen Handelns waren die Grundlage für tief gehende Diskussionen. Nicht nur den neu gewählten Ratsmitgliedern wurde einmal mehr deutlich, wie hoch unsere Verantwortung gegenüber den Menschen ist, die hier in Leinfelden-Echterdingen leben. Verantwortung gegenüber den Menschen, die uns gewählt haben, aber auch gegenüber den vielen Kindern und Jugendlichen, die noch nicht wählen durften oder noch gar nicht geboren sind, Verantwortung gegenüber den folgenden Generationen. 

Die Voraussetzungen, verantwortungsvoll zu handeln, sind mit dem aktuellen Haushaltsplan nicht so gut, wie in den Vorjahren. Die Planansätze der Anteile aus der Gewerbesteuer für die kommenden Jahre gehen schrittweise auf 39 Millionen zurück, was allerdings immer noch ein Plus von gut 36% im Vergleich zum Jahr 2014 bedeutet. Damals waren es 28,6 Millionen. Erfreulich jedoch ist, dass im gleichen Zeitraum die Planansätze der Anteile aus der Einkommenssteuer auf 34,7 Millionen weiter wachsen werden. Hier sprechen wir über ein Plus von gut 45%, ebenfalls im Vergleich zum Jahr 2014. Damals waren es hier 23,9 Millionen. Dass die Entwicklung der Gewerbesteuer schwankt, zeigt sich immer wieder und ist normal, ohne dass man dabei von einer Krise sprechen muss. Dass das Aufkommen der Einkommenssteuer konstant steigt, liegt sicher auch am Zuzug der vielen erwerbstätigen Menschen und dem hohen Gehaltsniveau in unserer Region.

In diesem Zusammenhang möchte ich kurz auf den Pendlersaldo eingehen: Wir liegen hier über dem Saldo der großen Kreisstädte Göppingen, Esslingen, Böblingen oder Ludwigsburg, fast auf dem Niveau der Landeshauptstadt. 25.860 Einpendelnden stehen lediglich 14.747 Auspendelnde gegenüber. Neue Wohngebiete und Nachverdichtungen im Innenbereich tragen dazu bei, die Waage Arbeitsplätze - Wohnraum auszugleichen. Neue Gewerbeflächen drehen die Spirale weiter und vergrößern den Saldo. Dazu gleich mehr im Zusammenhang mit der Filderstudie.

Zu den Steuereinnahmen und was damit geschehen soll:

Das Finanzverwaltungsamt um Herrn Kaiser legte uns zur Klausurtagung eine Übersicht der anstehenden Investitionen vor. Mit knapp 114 Millionen Euro sind einige Maßnahmen auf der Investitionsliste für die Planjahre bis 2023 finanziert. Enthalten sind hier beispielsweise die anstehenden Sanierungen und Erweiterungen unserer Schulen (ca. 22,5 Mio.) sowie die Bauprojekte zur Kindertagesbetreuung (ca. 18 Mio.). Herkulesaufgaben, die sich in einer so schnell wachsenden Stadt weiter mehren werden. Auch erste elf Millionen für unser Hallenbad stehen ab 2022 im Plan, wobei Gesamtkosten von mindestens 22,5 Millionen bis zur Fertigstellung anfallen werden. Uns freut, dass die Personalstelle für die Planung und Umsetzung des Hallenbades bereits besetzt ist. Wir schlagen vor, über dem Hallenbad eine Zweifeld-Turnhalle zu errichten, um die Kino-Turnhalle zu ersetzten und insgesamt dem steigenden Bedarf gerecht zu werden. Grünes Licht also an den Startblöcken! 

Moment! 114 Millionen auf der Investitionsliste bis 2023? Damit ist unser Geld doch weg! Reichen Vorräte und Einnahmen überhaupt, um das alles neben dem laufenden Betrieb bei steigenden Personalkosten zu finanzieren? Nein, muss man sagen, wenn man den ordentlichen Ergebnishaushalt der nächsten Jahre betrachtet. Bereits der Haushalt 2020 weist ein Defizit von minus 5,5 Millionen aus. Das geschätzte Minus in den Folgejahren wird größer. Dabei müsste es doch möglich sein, einen ausgeglichenen Haushalt für nächstes Jahr zu zimmern: Einen Haushalt, bei dem nicht mehr ausgegeben wird als an Steuern hereinkommt und in dem mehrjährige Projekte nach und nach so ausfinanziert werden, dass nichts in Schieflage gerät. 

Doch das ist noch nicht alles

Nur 114 Millionen auf der Investitionsliste bis 2023? Da stehen doch aber noch mehr riesige, größere und große Investitionen auf der Liste. Aber ohne Zahlen. Keine Zahlen liegen uns für die Sanierung und Erweiterung der Rathäuser vor, die ebenfalls dringend angegangen werden müssen. Ebenfalls fehlen Zahlen für die Großprojekte U5-Verlängerung bis Echterdingen, welche wir weiterhin schnellstmöglich umsetzen wollen, und den Bau der Nord-Süd-Straße, die wir weiterhin ablehnen. Noch mehr Sanierungsstau zeigt sich an der Festhalle Stetten und dem Bestandsgebäude der Turnhalle Musberg. Auch weitere Maßnahmen zur Umsetzung des neuen Feuerwehrbedarfsplans sind noch ohne Zahlen vermerkt. 

Das wird knapp. 

Zu spät war es vielleicht schon, als zum 1. Januar 2015 die Einführung des Neuen Kommunalen Haushaltsrechts (kurz NKHR) beschlossen wurde. Im alten kameralen System mussten Abschreibungen nicht erwirtschaftet werden. So erklären wir uns den Sanierungsstau. Gebäude, wie zum Beispiel das Hallenbad, wurden gebaut, ohne gleichzeitig Rücklagen zu bilden, um den Wert eines funktionierenden Bades auch nach dem Abschreibungszeitraum erhalten zu können. Mit der Einführung der Doppik wurden alle Wert-Bestände, so auch das Hallenbad, nachträglich bewertet und sind seither in den Abschreibungen mit eingeplant. Die liquiden Mittel, im Moment etwa 85 Millionen Euro, sind also gar nicht flüssig. Sie sind fest in der Finanzrechnung verflochten, um eben auch diesen Sanierungsstau abzuarbeiten.  

Wir finden es richtig, dass beim NKHR die intergenerative Gerechtigkeit vorrangiges Ziel ist. Sie besagt, dass jeweils die Generation auch für die Investitionen aufkommen soll, die den Nutzen davon hat. Erreicht wird dies durch die flächendeckende Ermittlung von Abschreibungen und deren gleichzeitige Erwirtschaftung. Um beim Beispiel des Bades zu bleiben, bedeutet das vereinfacht: Nach der Fertigstellung wird jährlich beispielsweise eine halbe Million eingeplant, um den Wert nach einigen Jahrzehnten wieder herstellen zu können. Zu beachten ist dabei, dass diese Rücklagen nicht zweckgebunden sind. Alle Werte der Stadt zahlen die Abschreibungen gemeinsam in einen Topf, aus dem alle Werte für die Zukunft erhalten werden sollen. 

Verantwortlich und umsichtig zu handeln ist für uns ehrenamtlich Tätige alles andere als ein Kinderspiel. Wie behalten wir Stadträtinnen und Stadträte bei Investitionen in Altes und Neues den Überblick? Wie können wir steuernd die Richtung vorgeben? Ich erinnere mich an meine Anfänge als Gemeinderat zurück. Das NKHR wurde gerade eingeführt und wir Rätinnen und Räte erhielten gemeinsam mit der Verwaltung Schulungen dazu.

Uns wurde vorgestellt, dass einzelne Ausgaben im Haushaltsplan zusammengefasst und damit genauer betrachtet werden können, indem wir Schlüsselprodukte festlegen. Durch die Output-Orientierung des NKHR sollte das „Wofür“ der entscheidende Maßstab sein und nicht mehr das „Wo“. Das klang damals toll und ist auch heute richtig. Leider, wie mir erst in den Vorbereitungen auf diese Zeilen wieder aufgefallen ist, kam es bisher nicht zur Bildung von Schlüsselprodukten. Durch den Gemeinderat vorgegebene Ziele, die im Haushalt abgebildet werden können, fehlen. Bisher arbeiten wir fast ausschließlich das ab, was von der Verwaltung vorgegeben wird. Handlungsspielraum haben wir dabei dann so gut wie gar keinen mehr. Wir Grüne beantragen daher eine moderierte Klausurtagung oder einen vergleichbaren Rahmen, um herauszuarbeiten, wofür wir Rätinnen und Räte Geld ausgeben wollen. Nicht unser privates Geld. Nicht das Geld der Verwaltung. Es handelt sich um das Geld, das wir als höchstes Organ der Gemeinde für die Bürgerinnen und Einwohner unserer Stadt verantwortungsvoll ausgeben dürfen. Und für die Menschen, die noch kommen.

Filderstudie

Die vom Verband Region Stuttgart und vom kommunalen Arbeitskreis Filder beauftragte Studie „Überprüfung der Weiterentwicklung der räumlichen Wachstumspotenziale im Filderraum“ (kurz: Filderstudie) fasst die aktuellen Herausforderungen der kommenden Zeiten auch für Leinfelden-Echterdingen sehr gut zusammen.

Ihr Zwischenfazit: Wohnraum Mangelware, Infrastruktur am Limit. Aber: Anhaltendes Wachstum, besonders entlang der Schieneninfrastruktur. Obwohl die Studie nicht nur in die Vergangenheit, sondern vor allem in die Zukunft blickt, denkt sie weiter von der Infrastruktur her. Welche Veränderungen sind absehbar? Fern- und Regionalbahnhof am Flughafen, Verlängerung der Stadtbahnen zum Flughafen und nach Echterdingen, Verlängerung der S-Bahn bis Neuhausen und der Ausbau der BAB8 und der B27.

Die Studie beachtet weitergehend auch drei Säulen der Nachhaltigkeit: Soziale Aspekte wie bezahlbarer Wohnraum für alle Generationen bei guter Nahversorgung und besten Bildungsangeboten. Ökologische Belange wie den Erhalt der Schutzgebiete und der wertvollen Ackerflächen. Die wirtschaftliche Entwicklung mit dem Fokus auf Campusdenken mit weniger produzierendem Gewerbe. Stichwort: Industrie 4.0 oder die digitale Revolution.

Leinfelden-Echterdingen wird sich ohne Zweifel in den kommenden Jahren massiv verändern. Leben, Wohnen, Arbeiten, Lernen. Alle Bereiche des Lebens werden sich immer schneller wandeln.

Jetzt kommen wir wieder ins Spiel. Es ist gut, dass die Studie die Entwicklungspotentiale nur entlang der Schieneninfrastruktur sieht mit der „Drehscheibe“ Flughafen auf unserer Gemarkung. Aber wie weit wollen wir mit der Ausweisung von neuen Gewerbeflächen in Vorleistung gehen, ohne dass die Infrastruktur leistungsfähiger ist? Wie schnell wollen wir weitere Wohngebiete erschließen, ohne mit dem Ausbau der Bildungsangebote hinterherzukommen? Um unsere Teilorte herum sind überall wertvolle Böden. Welche versiegeln wir zuerst? Wollen wir die Osttangente oder gar die Nord-Süd-Straße bauen als teure Vorleistung, ohne Einfluss auf die Anschlussstellen auf anderer Gemarkung im Norden oder Süden zu haben?

Die Crux an der Filderstudie ist, dass sie von einer funktionierenden Drehscheibe am Flughafen ausgeht. Sie geht davon aus, dass der Tiefbahnhof im Kessel in Betrieb gehen wird. Sie geht davon aus, dass Stuttgart mit den Vorstadtbahnhöfen in den „Deutschland-Takt“ integriert werden kann. Sie geht davon aus, dass die Gäubahn ohne Nachteile auf andere Verkehre durch LE geführt wird. Sie geht von einer weiterhin regelmäßig fahrenden S-Bahn aus. Sie geht davon aus, dass die U5 nach Echterdingen fahren wird. Sie geht davon aus, dass Autobahn und Bundesstraße wirklich ausgebaut werden.

Erste Priorität: U5 bis Echterdingen

Hinter allen Maßnahmen mit Ausnahme der U5 stehen aus unserer Sicht Fragezeichen. Technische und wirtschaftliche; und die Frage nach dem Sinn in einer Zeit nach der digitalen Revolution. Bei Letzterem denke ich besonders an die Straßen. Von all den eben genannten Maßnahmen haben wir nur auf die U5 unmittelbaren Einfluss, schaffen es aber auch nicht allein. Sie weist als eine der wenigen Schienenneubauten überhaupt einen positiven Kosten-Nutzen-Faktor auf. Und sie hat unmittelbar positiven Einfluss auf unsere städtische Bevölkerung und den Verkehr aus dem Echterdinger Südwesten. Die U5 so schnell wie möglich bauen! Das sollte Vorrang vor allen anderen Infrastrukturmaßnahmen haben, um mit dem bestehenden Straßennetz auszukommen.

Zeit nutzen, um aufzuholen

Bis es sich abzeichnet, welche überregionalen Maßnahmen wann fertig gestellt werden und wie die Zugverkehre einmal tatsächlich fahren werden, haben wir Zeit, aufzuholen.

Nachhaltige Wohnbebauung als Innenverdichtung, um Wohnraum zu schaffen, ohne auf neue Flächen zu gehen. Der Bestand an städtischen Wohnungen soll erhöht werden und in einen Eigenbetrieb Wohnungswirtschaft übergehen. 

Alle bisherigen Wohngebiete auf Vordermann bringen, um Freiräume für Groß und Klein attraktiv zu machen. Wichtig sind uns dezentral angelegte, niederschwellige Freizeit-, Spiel- und Sportanlagen für alle Generationen. 

Unser Vorschlag zur Internationalen Bauausstellung 2027: Auch die Sanierung der historischen Mitte Echterdingens oder Musbergs kann Teil der IBA’27 werden. Dafür müssen wir nicht in den Außenbereich, zumal die Verantwortlichen der IBA Projekte im Innenbereich bevorzugen.

Bestehende Straßen sanieren, dabei Rad-und Fußverkehr mitdenken.

Schulen und Kindertagesstätten wollen wir in Qualität und Quantität zukunftsfähig entwickeln.

Die Stadt als Arbeitgeberin wollen wir stärken: Sanierung der Rathäuser, um die Arbeitsplätze darin attraktiv zu halten, Aufstockung der Ausbildungsplätze, um Nachwuchs zu gewinnen, unbürokratische Ausgabe von Jobtickets und Leasing-Rädern, die auch in der Freizeit genutzt werden können. Auch Parkplätze gehören zum betrieblichen Verkehrsmanagement, die dann aber nur für die vorgehalten werden, die sie brauchen, weil sie nicht anders zur Arbeit kommen können.

Klimaschutz ist Menschenschutz

Paris gilt! Das Klimaschutzkonzept der Stadt wird aktualisiert. Viel zu lange, knapp zehn Jahre, lag es in der Schublade. Wir wollen, dass eine Personalstelle dafür geschaffen wird. Sie ist gerechtfertigt, damit Fördermittel möglichst effektiv beantragt werden können und damit das Konzept kontinuierlich fortgeschrieben werden kann. Wir dürfen nicht vergessen, dass Klimaschutz nicht „nur“ Schutz für das Klima, die Erde, die Pflanzen und die Tiere bedeutet. Klimaschutz ist Menschenschutz! Für diese und die kommenden Generationen.

Abschließend möchte ich sagen: Wir dürfen uns nicht von dem Druck, unter dem wir stehen, erschlagen lassen. Bevor wir neue Fässer öffnen und damit die Abhängigkeitsspirale weiter drehen, müssen wir unsere Hausaufgaben erledigen.

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